Im April war Marie-Luise Raumland im Interview bei Katja Michel von Capital.de und hat über die Mythen und die Zukunft des Schaumweins in Deutschland gesprochen. Unter anderem warum Sektflöten zwar schön aussehen, jedoch nicht für einen gereiften, komplexen Schaumwein geeignet sind.
Hier geht es zum ganzen Interview.
Ausschnitt vom Interview zwischen Marie-Luise Raumland und Katja Michel von Capital.de:
Frau Raumland, Ihre Sekte stellen Sie her wie Champagner, sie reifen bis zu zwölf Jahre und werden immer wieder ausgezeichnet. Wie erklären Sie den Menschen, dass Sekt nicht gleich Sekt ist?
Es gibt eine große Diskussion in Deutschland, wie man traditionell hergestellte Sekte von den industriellen differenzieren kann. Leider ist das Wort Sekt wirklich irreführend, weil es beides beschreiben kann. Wir traditionellen Sektmacher haben lange nach einem passenden Namen gesucht – und keinen gefunden. „Winzersekt“ ist ein bisschen unsexy und störrisch. Deswegen stellen wir die Methode in den Vordergrund, also die traditionelle Flaschengärung.
Kommt die Botschaft an?
Zumindest ist nicht mehr nur Champagner die erste Wahl, insbesonders deshalb, weil er in den letzten Jahren preislich sehr in die Höhe gegangen ist. Der lokale Schaumwein, der auch gut gemacht ist, bekommt in Deutschland zunehmend eine Plattform. Auch die Sommeliers in den Restaurants sind sehr viel offener als noch vor einigen Jahren.
Nun sind der Frühling und Ostern da. Ist Deutschland in Sektlaune?
Erst einmal vorweg: Wir Deutschen lieben Sekt. Es gibt kein anderes Land auf der Welt, in dem pro Kopf mehr Schaumwein getrunken wird – nicht einmal in Frankreich. Das liegt natürlich auch daran, dass wir hier in Deutschland sehr erschwinglichen industriell hergestellten Sekt haben. Und sobald die Temperaturen steigen, treibt das die Sektlaune weiter in die Höhe, vor allem jetzt, zu den Osterfeiertagen. Wobei Sekt ja kein Getränk nur zum Anstoßen ist, sondern auch ein wunderbarer Essensbegleiter sein kann. Er passt also auch zum Ostermenü und zum Lammbraten. Wichtig ist übrigens auch das richtige Glas: Vergessen Sie Sektflöten!
Wieso das?
Komplexe Schaumweine sollten nicht aus klassischen Sektflöten getrunken werden. Wir besitzen in der Familie gar keine. In den hohen Kelchen prickelt der Sekt zwar immer schön und das sieht nett aus, aber die Nase hat meist keinen Platz im Glas. Der Sekt wird also fruchtig schmecken und hat kein Potenzial zu atmen. Viel besser geeignet sind Weingläser, teilweise sogar die großen für Rotwein, je nach Alter des Sekts. Darin kann sich die Aromatik freisetzen und sie lässt sich auch wahrnehmen.
Was ist mit flachen Sektschalen wie in den 1920er Jahren, die jetzt wieder in Mode sind?
Die sehen schick und retro aus. Allerdings geht durch die breite Öffnung die Kohlensäure superschnell verloren und die Hand an der Schale wärmt den Sekt schnell auf. Wenn ich ihn lieber kühl und länger genießen möchte, ist diese Schale also auch nicht das richtige Glas.
Ich ahne, was Sie zu Sekt auf Eis, wie er in Bars und Clubs gerne serviert wird, sagen werden.
Das ist auch sehr retroschick. Aber ich würde das bei einem guten Sekt niemals machen. Ich habe ihn ja nicht zwölf Jahre liegen lassen, bis er eine tolle Aromatik annimmt, um ihn dann mit Wasser zu verdünnen. Eine der Fragen, die wir am häufigsten gestellt bekommen, ist übrigens: Wie lange kann ich den Sekt lagern und wie mache ich das am besten?
Und wie lautet die Antwort?
Die Leute haben eingetrichtert bekommen: Sekt muss man nach dem Kauf schnell trinken, der wird nicht besser. Das ist trifft auf industriell hergestellten Sekt definitiv zu. Aber einen Sekt, der in traditioneller Flaschengärung hergestellt wurde, der ja sowieso schon Jahre im Winzerkeller lag, muss ich nicht sofort trinken. Da verhält es sich wie beim Wein, der bei richtiger Lagerung sogar besser wird über die Zeit. Der Sekt verändert sich, er wird vanilliger, er wird cremiger, er wird harmonischer. Die Kohlensäure tritt etwas in den Hintergrund, aber er entwickelt sich zum Positiven.
Was ist die richtige Lagerung?
Schauen Sie immer, wie Sie ihn gekauft haben. Wir lagern unsere Sekte stehend. Durch den Überdruck in der Flasche und die Kohlensäure, die sich auch im Flaschenhals verteilt, bleibt der Korken automatisch feucht, auch wenn die Flüssigkeit ihn gar nicht berührt. Also kann man die Schaumweine auch senkrecht lagern. Wer Sekt stehend kauft, ihn zu Hause hinlegt und später wieder hinstellt, stellt fest, dass die Feuchtigkeit im Korken wechselt. Durch diesen Wechsel beginnt er zu schrumpfen, mehr Sauerstoff tritt ein und Kohlensäure entweicht. Der Sekt altert so sehr viel schneller. Wir empfehlen also, unseren Sekt im Stehen zu lagern.
Gibt es noch mehr Sektmythen, mit denen Sie aufräumen können?
Der Löffel in der offenen Flasche, der angeblich dazu führt, dass der Sekt nicht absteht. Das bringt rein gar nichts. Aber mit einem guten Sektverschluss hat, der wirklich dicht ist, lässt sich auch angebrochener Sekt einige Tage aufbewahren. Ein Sekt kann sich dadurch entwickeln, dass Sauerstoff hinzukommt – ähnlich wie beim Wein. Am zweiten Tag kann er sogar besser schmecken.
Ihr Vater gilt als „Sektpapst“. Nun führen Sie und ihre Schwester das Sekthaus. Wie verhindern Sie, immer nur als „Töchter von…“ wahrgenommen zu werden?
Uns ist bewusst, dass wir in sehr große Fußstapfen treten. Dennoch möchten wir diese mit unseren eigenen Füßen ausfüllen. Für uns ist wichtig, an der Tradition festzuhalten und auf dem Wissen aufzubauen. Wir wollen nicht alles umschmeißen. Gleichzeitig bringen wir neue Ideen ein. Unser Vorteil ist, dass wir als Generationen in der Familie zusammenarbeiten.
Welche eigenen Akzente wollen Sie setzen?
Die Sekte meiner Eltern sind 100 Prozent Jahrgangssekte. Wir wollen zum Beispiel einen Sekt etablieren, der auf verschiedenen Jahrgängen aufbaut, durch das sogenannte Solera-Verfahren. Er wird sich geschmacklich unterscheiden.
War für Sie immer klar, dass Sie einmal das Sekthaus Ihrer Eltern übernehmen würden?
Meine Eltern kommen beide aus Weingütern – und haben sich zunächst gegen Weinbau entschieden. Mein Vater hat bei Siemens Diplomkaufmann gelernt, meine Mutter hat eine Banklehre und eine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht. Sie wollten erst einmal etwas anderes tun. Diese Idee haben sie uns mit auf den Weg gegeben. Mein Vater sagte immer: Wenn ihr wirklich Interesse habt, dann kommt ihr sowieso irgendwann zurück.
So war es dann auch.
Ich habe internationale BWL studiert und in Konzernen gearbeitet. Aber ich konnte den Weinbau, vor allem die Sektherstellung, nie loslassen. Mein Herz führte mich in das Familienunternehmen zurück. Genau so ging es meiner Schwester. Wir haben dann beide im zweiten Schritt Weinbau studiert.
Dort gibt es einen Trend zu alkoholfreien Alternativen. Sehen Sie den auch beim Sekt?
Definitiv. Das Geschmacksprofil bei alkoholfreiem Sekt ist tendenziell etwas besser als bei alkoholfreiem Wein. Das Problem bei der Entalkoholisierung von Wein ist, dass man ihm erstmal die komplette Aromatik entnimmt. Beim Sekt lassen Süße und Kohlensäure das etwas fade Produkt wieder aufleben. Er kann gut schmecken, aber die Technologie dahinter befindet sich noch ganz am Anfang.
Trotzdem haben Sie keinen alkoholfreien Sekt im Sortiment.
Wir bieten seit über 20 Jahren alkoholfreien Fruchtsecco an. Das ist ein Produkt, das nie Alkohol gesehen hat. Wir müssen ihn also auch nicht entfernen. Dem Thema alkoholfreier Sekt bleiben wir gegenüber offen. Wir experimentieren, sind aber noch nicht zufrieden mit den Qualitäten.
Wie sehr macht Ihnen der Klimawandel zu schaffen?
Wir befinden uns noch in einem „cool climate Weinanbaugebiet“. Aber wir erkennen, dass die Ernte vor 40 Jahren, als mein Vater begann, anders war: Damals hat man die Trauben für den Sekt im Oktober gelesen, war im Nebel unterwegs und musste gucken, dass der Regen oder der anstehende Frost nicht die Ernte beschädigte. Heute stehen wir mit T-Shirts und kurzen Hosen Ende August im Weinberg. Die Reifung der Trauben hat sich zeitlich nach vorne bewegt. Wir müssen uns Fragen stellen wie: Welche Rebsorten sind die richtigen für die nächste Generation? Wie bewirtschaften wir unsere Weinberge, damit die Reifung nach hinten verzögert wird?
Werden die Weinbaugebiete nach Norden wandern?
Es findet schon jetzt eine Nordbewegung statt. Es gibt mittlerweile Winzer, die auf Sylt Weinbau betreiben. Sachsen wird nicht mehr unterschätzt, sondern ist aufstrebend. Die Region rund um Sussex und Kent in England ist das Gebiet, das am meisten Potenzial für den Schaumwein in der Zukunft hat. Dort sind viele neue Weingüter und eine Sektindustrie entstanden, in der Schaumwein auf sehr hohem Niveau hergestellt wird.