F.A.Z: Wir wollen unseren eigenen Champagner!

Von Jakob Strobel Y Serra / 03.12.2021

„Kaum jemand wird bezweifeln wollen, dass Volker Raumland den besten Sekt Deutschlands keltert. Und genauso unzweifelhaft ist, dass kein anderer Winzer so viel für den deutschen Schaumwein getan hat wie er. Die Kolumne Geschmackssache.

Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg kommen. Niemand weiß das besser als Volker Raumland. Sein Berg ist der Weinberg und seine Prophetie, dass auch die Deutschen Champagner keltern können. Fast vierzig Jahre lang kam er mit seiner mobilen Versektungsanlage zu den Wingerten der besten deutschen Winzer, um aus ihren Grundweinen Schaumweine zu machen – und zog fast so lange wie das Volk der Israeliten durch eine Wüste, in der kaum jemand seine Botschaft verstand und nach deutschem Champagner dürstete, obwohl er selbst der lebende Beweis für die tiefe Wahrheit seiner Weissagung war. Und erst jetzt, im Zenit seines Ruhms, im Epilog seiner Karriere, darf der einsame Rufer erleben, wie seine Prophetie zum Chor anschwillt.

Die Weltmeister im Sekttrinken

Kein anderes Volk trinkt so viel sprudelnden Wein wie die Deutschen, sagenhafte vierhundert Millionen Flaschen sind es Jahr für Jahr. Doch das allermeiste davon stammt aus der industriellen Massenproduktion, wird in monströsen Stahltanks aus spottbilligen Grundweinen dubioser Herkunft zusammengeschüttet und zu lächerlich niedrigen Preisen im Supermarkt verkauft. Nur drei Prozent der deutschen Schaumweine sind Winzersekte, die nach der traditionellen Champagner-Methode in der Flasche vergoren werden. Aber auch dieses Geschäft wird selbst von den renommiertesten Weinbauern oft nur nebenbei und selten mit der gebührenden Leidenschaft betrieben. „Viele Winzer versekten die Weine, mit denen sie nichts anfangen können, und die wenigsten denken bei der Arbeit im Weinberg von vorneherein an Sekt, sondern immer noch in Mostgewichten, weswegen sie ihre Grundweine viel zu süß ernten“, sagt Raumland, für den elf Prozent Alkohol die absolute Obergrenze sind, weil bei der zweiten Gärung noch einmal 1,3 Prozent Alkohol hinzukommen. Und genau deswegen schmecken die meisten deutschen Winzersekte nicht wie Champagner, sondern wie Weine mit Kohlensäure.

Champagner, nichts anderes wollte Volker Raumland in seinem Winzerleben machen, seitdem er während des Weinbaustudiums in Geisenheim mit einem Müller-Thurgau-Sekt bei einer Blindverkostung den ersten Preis gewonnen hatte. Von diesem Augenblick an war der Winzersohn aus Bockenheim in der Nordpfalz „mit dem Schaumwein-Virus infiziert“, wie er selbst sagt. Er wurde zum fahrenden Versekter, kostete Abertausende von Grundweinen, erkannte bald blind die besten Kandidaten für einen exzellenten Sekt, wusste eines Tages alles über ideale Maischestandzeiten, Pressverfahren und Hefelager, häufte ein Schaumweinwissen wie kein zweiter deutscher Winzer an und wurde damit geadelt, dass seine Kollegen stolz auf das Etikett schrieben, wer ihren Sekt versektet hatte. Doch der entscheidende Schritt zum perlenden Glück fehlte noch: Raumland hatte erkannt, dass nur aus seinen eigenen Grundweinen Schaumweine in Champagner-Qualität entstehen können – und griff sofort zu, als er Anfang der Neunzigerjahre die Gelegenheit bekam, in Flörsheim-Dalsheim in Rheinhessen eine Gründerzeitvilla mit vier Hektar Weinbergen zu kaufen.

Ein perfektionistischer Qualitätsfanatiker

Dreißig Jahre später genießt das Sekthaus Raumland in der Schaumweinwelt einen Ruf wie Donnerhall, gehört als einziges reines Sektgut dem Verband Deutscher Prädikatsweingüter an und sorgt selbst in der Champagne für ehrfürchtiges Raunen. Das alles ist die Frucht der bedingungslosen Hingabe und des perfektionistischen Qualitätsfanatismus Volker Raumlands, der nicht umsonst in die ehrenwerte Champagner-Bruderschaft von Le Mesnil-sur-Oger berufen wurde. Kein anderer deutscher Sektwinzer arbeitet so detailversessen wie der Patron, der sich sogar eigens eine Traubenwaschanlage hat anfertigen lassen, um Sekrete von Insekten und Rückstände von Kupfer oder Schwefel und damit minimalste Fehlnoten aus seinem Lesegut zu entfernen – eine solche Apparatur gibt es in Deutschland kein zweites Mal und noch nicht einmal in der Champagne. Bei der Pressung orientiert er sich hingegen an den französischen Kollegen, verwendet für seine besten Gewächse nur den besonders schonend gewonnenen Most aus der Cuvée-, nicht aus der Taille-Pressung, quasi das Herzstück des Saftes, und gibt ihm dann alle Zeit der Welt. Mindestens drei, oft auch zehn Jahre oder noch länger liegen seine Sekte auf der Hefe, denn erst dann verwandeln sie sich von Weinen mit Sprudel in Schaumweine mit Champagner-Qualität.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.12.2021. Bild: Oliver Rüther

Schon seine einfachen Schaumweine mit drei Jahren Hefelager erinnern nicht im Geringsten mehr an klassische Winzersekte. Die Cuvée Marie-Luise, ein Blanc de Noir mit einer Perlage wie ein Jungbrunnen und einem wahren Aromenfüllhorn aus gelben Steinfrüchten, wird von einer muskulösen Säure in Form gehalten, vor der die meisten deutschen Winzer zurückschreckten. Die weniger schroffe, viel schmeichelndere Cuvée Katharina aus Pinot Noir und Pinot Meunier ist mit ihrem Schmelz und ihrer Cremigkeit, ihren Toast- und Briochenoten erst recht einem Champagner viel näher als jedem Winzersekt – ganz zu schweigen von der Réserve Chardonnay, die neunzig Monate lang auf der Hefe lag, erst nach neun Jahren in den Verkauf kommt und mit ihrer Harmonie aus Zitrusfrüchten und Nussaromen bei jeder Blindverkostung von Prestige-Champagnern bestehen könnte, wenn sie nicht gleich triumphierte. Und die Grande Réserve von 2008 ist nach mehr als zehn Jahren Hefelager ein Paradebeispiel für das Wunder der großen Champagner: eine idealtypische Liaison aus Frische und Reife, Tiefe und Eleganz, Filigranität und Gravität, Spritzigkeit und Langlebigkeit.

Inzwischen hat Volker Raumland, dieser unerschütterlich gelassene Familienmensch, die Geschäftsführung des Sekthauses in die Hände seiner Töchter Katharina und Marie-Luise gegeben. Die Hände in den Schoß legt ein Sektfanatiker wie er aber natürlich nicht, sondern in Wingert und Keller Tag für Tag Hand an. Gerade experimentiert er mit dem Solera-Verfahren und Generationen-Cuvées aus dreißig Jahrgängen – und findet nicht nur in seinen eigenen Gewächsen Genugtuung, sondern auch in der Gewissheit, dass ihm jetzt eine ganze Generation von Jüngern in Gestalt junger deutscher ­Sektmacher nachfolgt. So ist das mit ­Propheten: Am Ende behalten sie immer recht.

Sekthaus Raumland, Alzeyer Straße 123c, 67592 Flörsheim-Dalsheim, Telefon: 06243/908070, www.raumland.de.

Quelle: F.A.Z.

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