Wir stehen in der Schatzkammer unseres Sektkellers. Vor uns: Zwei Flaschen desselben Jahrgangs, aus derselben Cuvée, nebeneinander geruht, jahrelang. Und doch – ein kleiner Unterschied: Die eine Flasche wurde vor 3 Jahren dégorgiert, die andere erst gestern.
Was wie ein Detail klingt, offenbart in der Verkostung eine faszinierende Geschichte: Die jüngst dégorgierte Flasche zeigt sich noch frisch, fast spröde, mit animierender Säure und präziser Struktur. Die andere, mit etwas mehr Zeit auf dem Korken, ist sanfter, runder – die Perlage weicher, der Geschmack reifer. Zwei Facetten desselben Schaumweins. Zwei Zeitfenster, zwei Stimmungen.
Was ist Dégorgieren eigentlich?
Das Dégorgieren ist der Moment, in dem der Schaumwein von seinem Hefedepot befreit wird – ein entscheidender Schritt nach der traditionellen Flaschengärung. Bis zu diesem Zeitpunkt reift der Sekt auf der Hefe und entwickelt dabei Komplexität, Cremigkeit und Tiefe. Je länger ein Schaumwein auf der Hefe liegt, desto mehr profitiert er von der sogenannten Autolyse – dem natürlichen Abbau der Hefezellen. Dabei entstehen Aromen von Brioche, Nüssen, getrockneten Früchten und eine feinere Mousseux (Perlage). Gleichzeitig schützt die Hefe den Wein vor Oxidation und verleiht ihm Stabilität. Doch was passiert danach?
Der Zeitpunkt entscheidet – über Charakter und Stil
Nach dem Dégorgieren beginnt eine neue Phase: Der Schaumwein „atmet“. Die Zeit auf der Hefe hat ihn geformt, aber jetzt beginnt die Phase der Reifung ohne schützende Hefe. Er ist jetzt sensibler gegenüber Sauerstoff, weshalb auch die Lagerzeit nach dem Dégorgieren einen Einfluss auf Stil und Charakter hat. Frische und Präzision stehen im Vordergrund, doch mit jedem Monat gewinnt der Schaumwein an Harmonie – er wird weicher, ruhiger, erwachsener.
Je später wir dégorgieren, desto länger bleibt der Sekt auf der Hefe – und genau das macht den Unterschied. Hefe ist nicht nur ein Reifemedium, sondern auch ein Schützer: Sie bewahrt den Schaumwein vor Oxidation, gibt ihm Struktur, Tiefe und Lagerpotenzial. Ein später Dégorgierzeitpunkt lässt einen Sekt entstehen, der komplexer und langlebiger ist, mit feinerer Perlage und oft leicht nussigen Noten.
Warum wir bewusst mit dem Dégorgierzeitpunkt spielen
Bei uns ist das Timing kein Zufall, sondern Teil der Handschrift. Manche Cuvées dégorgieren wir bereits nach 3 Jahren Hefelager, um ihre jugendliche Frische zu betonen. Andere lassen wir viele weitere Jahre auf der Hefe ruhen, um eine reife, fast meditative Stilistik zu erreichen. Und manchmal, bei ganz besonderen Chargen, geben wir die Flaschen sogar zu unterschiedlichen Zeitpunkten frei – als Einladung, das Spiel der Zeit selbst zu entdecken.
Denn in jedem Glas steckt nicht nur der Charakter des Schaumweins, sondern auch der Moment, in dem er in die Welt entlassen wurde.
„Frühes“ Dégorgieren (kurzes Hefelager) | „Spätes“ Dégorgieren (langes Hefelager) |
Frische, lebendige Säure Primärfrucht im Vordergrund Leicht, klar, direkt | Komplexere, reifere Aromen Feinere Perlage Mehr Tiefe, Cremigkeit und Lagerfähigkeit |